Der klassische indische Tanzstil 'Odissi' entstammt den Tanztraditionen des heutigen Bundesstaates Odisha (bis 2011 Orissa) an der Ostküste Indiens.
In der Nähe der heutigen Hauptstadt Bhubaneshwar findet sich ein kulturelles Zentrum aus dem 1./ 2. Jahrhundert vor unsere Zeitrechnung: Die Höhlenanlagen von Kandagiri & Udaygiri. Sie beherbergen eine Freilichtbühne und Reliefs, die von Orchestern begleitete Tanzaufführungen zeigen. Diese sind die ältesten Zeugen für eine hochentwickelte Tanzkunst in Odisha.
Der heutige Odissi fusst im wesentlichen auf drei Tanztraditionen:
Der heutige Bühnentanz ‚Odissi‘ wurde in den 1950er Jahren entwickelt. Tänzer und Theoretiker arbeiteten zusammen, um Struktur in die überlieferten Formen des Tanzes Odishas zu bringen und nachzuweisen, dass es sich um eine klassische Tradition handelt. Auch der Name ʽOdissi’ stammt aus dieser Zeit. Er wurde vom Poeten Kalicharan Patnaik geprägt und bedeutet ʽzu Orissa gehörend’. 1957 wurde er von der Sangeet Natak Academi als 5. klassischer Tanzstil Indiens anerkannt.
Das Prädikat ‚klassisch‘ (śāstrīya) setzt voraus, dass der fragliche Tanz auf den alten Lehrwerken also ‚Śāstra‘, basiert. Die historischen Tanztexte, die auf den Odissi während seiner Entwicklung in den 1950igern Einfluss genommen haben, sind vor allem das Sanskrit-Lehrwerk 'Abhinaya Darpaṇa' (vermutlich 12. Jahrhundert) und der lokale Text 'Abhinaya Candrikā' (17. Jahrhundert).
Ästhetik
Der Odissi hat mit anderen Tanzstilen, vor allem im Süden Indiens, gemein, dass der Körperschwerpunkt durch eine sitzende Position mit weit geöffneten Beinen gesenkt wird. Diese ‚gesessene‘ Grundposition heisst im Odissi ‚Chouka‘, was mit ‚Viereck‘ übersetzt werden kann.
Von anderen klassischen Tänzen unterscheidet sich der Odissi vor allem durch den Einsatz einer besonderen Haltung des Torso: den 'Tribhaṅga' (lit.: 'drei Brüche'). Der Tribhaṅga ist eine dreifache, seitliche Abweichung von der Mittelachse: Hüfte und Kopf verlagern sich zu einer, der Oberkörper zu der anderen Seite des Körperschwerpunktes.
Der Tribhaṅga ist durchaus in anderen klassischen indischen Tanzstilen zu finden: im Bharatnatyam, und im Kuchipudi wird diese Haltung – ganz anders als im Odissi - nur als vom Tanzfluss abgekoppelte Pose eingenommen.
Der Odissi wurde ursprünglich als Solotanz konzipiert. Der/die TänzerIn präsentiert, begleitet von einem kleinen Orchester, ein bis zu zweistündiges Programm, das aus Stücken unterschiedlicher Kategorien zusammengesetzt wird: